Wie ich mir die Welt aufschließe!

Fragt man Worte nach ihren Ursprüngen, dann werfen sie alles Angereicherte, Umgedeutete, Vermischte, Entleerte und Missbrauchte von sich ab und zeigen sich uns in ihrer ganzen Wesentlichkeit. Dann erst erkennt man, wie wenig sie Symbol und wie nah sie einst den Dingen gewesen sind. Fragt man Worte, woher sie kommen, antworten sie:

„Aus den Dingen selbst!“

 

 

Das Wort „Symbol“ bedeutete ursprünglich eine Erkennungsmarke. Das konnte eine Münze sein, ein Tonstück oder auch ein Ring. Gingen zwei Freunde für lange Zeit auseinander, wurde das sogenannte symbolon in zwei Teile gebrochen. Trafen sich nach Jahren der Trennung Familienmitglieder jener Freunde, so sorgte die passende Hälfte dafür, dass sie als willkommene Gäste erkannt und aufgenommen wurden. Das altgriechische Verb symballein, bei dem wir am Ende unserer Suche nach den Ursprüngen ankommen, bedeutet „zusammenfügen“.

 

 

Ich glaube, dass wir alle selbst so eine Hälfte sind. Wir fühlen uns als das eine Tonstück, das nach dem anderen sucht. Wir fühlen, dass etwas fehlt. Die Suche danach setzt unser Leben unter Spannung und wo wir fündig werden, herrscht Ent-Spannung, herrscht Frieden. In der romantischen Tradition wird dieses Fehlende oftmals als der richtige Partner gedeutet. Ich glaube, dass es alles und jeder sein kann. Das meine ich nicht willkürlich und auch nicht in dem Sinne, dass da irgendetwas oder irgendwer auf uns wartet. Was auf uns wartet, ist das Leben und alles darin kann mit uns ein Zusammengefügtes werden, schlicht und einfach, indem wir anfangen, es als solches zu sehen. Der Schnittpunkt zwischen uns und der Welt, dort, wo sich die beiden Hälften begegnen und zu einem Ganzen zusammenfügen, ist unser Bewusstsein. In ihm liegt die Schöpferkraft, durch die wir uns mit allem, was wir wahrnehmen in jedem Augenblick verbunden fühlen können. Der sehr inspirierende buddhistische Mönch und Schriftsteller Thich Nhat Hanh gibt ein schönes Beispiel dafür:

 

 

„Betrachten Sie einmal eine Ähre. Sie können darin die Erde, den Sonnenschein und den Regen sehen. Alles ist zusammengekommen, um die Ähre zu schaffen, die Sie nun in den Händen halten. Das Korn ist ein Botschafter, der gekommen ist, um Sie zu ernähren. Um das zu erkennen, brauchen Sie nur eine oder zwei Sekunden. Kauen Sie das Korn achtsam, und grüßen Sie dabei das Universum.“ (Thich Nhat Hanh; Einfach essen)

 

 

Jedes Korn ist ein Korn und gleichzeitig ist es so viel mehr. Thich Nhat Hanh nennt es einen Botschafter, ich nenne es ein Symbol und meine damit sowohl die aktuell geläufige als auch die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes: Alles und jedes kann mir zum Symbol werden, indem ich darin das Höhere, Tiefere, Wesentliche und für mich Bedeutsame erkenne. Dadurch kann es die andere Hälfte sein, mit der ich mich ganz fühle. Dieses symbolische, zusammenfügende Sehen ist eine kraftvolle Möglichkeit, durch die wir Lebensfreude, positive Veränderung und uns als Teil dieses großen Welt-, Natur- und Lebensgefüges erfahren können. Das symbolische Sehen ist in höchstem Maße schöpferisch.

 

 

Der Schnittpunkt zwischen uns und der Welt ist auch die Sprache. Sie ist aus der Wirklichkeit entstanden und gleichermaßen erschafft sie sie. Beginnen wir zu sprechen, so hält die Welt mit all ihren Namen, Werten und Vorstellungen bei uns Einzug. Beginnen wir zu sprechen, ziehen wir aber auch in die Welt ein. Jeder von uns ist das Neue in der Welt.

Immer wenn ich mir diesen Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit bewusst mache, passiert Veränderung. Begegne ich der Welt mit meinem Wortbewusst-Sein, fühle ich mich mit ihr zusammengefügter.

 

 

In diesem Blog möchte ich darüber schreiben, wie das symbolische Sehen, mir die Welt aufschließt und mich lebendig fühlen lässt, was mit mir (und vielleicht auch mit dir) passiert, wenn ich mir die Worte bewusst mache. Ich möchte mit mir und mit dir in Verbindung kommen, inspirieren und inspirert werden, berühren und berührt werden.

 

Die Vielzahl an Themen, die mich mit der Welt verbinden, habe ich in drei Hauptbereiche aufgefächert: Selbstfürsorge, Bindung und Bildung. Wir sind sprachliche Wesen, weil wir wollende Wesen sind, weil wir artikulieren, was uns fehlt. In diesen drei Begriffen drücken sich für mich unsere Grundbedürfnisse aus: wir wollen, dass es uns gut geht, wir wollen uns verbunden fühlen, wir wollen uns, ganz wie wir da sind, ausbilden. Ich hoffe, dass es unter diesen Themenbereichen, den ein oder anderen Text gibt, mit dem du dich zusammengefügt fühlst. Wenn dem so ist, lass es mich gerne wissen!